Gleichberechtigung in Frankreich

Veröffentlicht auf von Oui-mais

Als ich in Frankreich ankam, war ich überzeugt, dass die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau hier eine Realität ist. Schliesslich war Simone de Beauvoir Autorin von „Das zweite Geschlecht“ Französin. Seitdem ist alles besser geworden.
In der Schule werden die Kinder gleich behandelt, vielleicht werden Mädchen sogar bevorzugt. So glauben die jungen Frauen, dass der Feminismus überholt ist, durch die reale Gleichberechtigung überflüssig geworden. Ende der 1990er Jahre nahm ich an einem Seminar zur Jobfindung für Doktoranden teil. Mehrere angehende Juristinnen entdeckten jetzt, da sie eine Arbeit suchten, dass sie nicht nur im Nachteil waren, weil sie an einer Universität studierten und nicht von einer „Grande Ecole“ kamen, sondern dass es auch ein Nachteil war, eine Frau zu sein. Die männlichen Kommilitonen wurden bevorzugt eingestellt.
Als meine Kinder endlich gross waren, hatte ich wieder mehr Zeit für eigene Aktivitäten. Bisher war ich nur Delegierte der Eltern im Verwaltungsrat des Collège gewesen. Dort gab es keine Diskriminierung der Frauen. Es war schwer genug überhaupt Kandidaten zu finden. Nun machte ich Sport. In einer Sportart, in der 80-90 % Frauen waren, einige davon schon in Rente. Die damalige Schatzmeisterin war froh, ihren Posten an mich abgeben zu können, denn sie machte die Arbeit zwar schon seit mehren Jahren, aber im Geheimen, denn ihr Mann, war schon nicht begeistert, dass sie zum Sport ging, jeden Posten im Verein hatte er ihr verboten! Nun ja, sagt man sich, das ist halt die alte Generation. Die Haltung wird auf natürlichem Weg aussterben. So um 2004 herum hat dann die damalige Regierung beschlossen, den Sportvereinen nahezulegen, die paritäre Verteilung der Posten im Vereinsmanagement in den Statuten festzuschreiben. Der damalige Vorsitzende, ein Mann, bestand darauf die Statuten unseres Vereins entsprechend zu ändern. Eigentlich brauchten wir nur einen Vorsitzenden, einen Sekretär und einen Schatzmeister. Der Verein hatte ungefähr 12 weibliche Mitglieder und 3 oder 4 männliche und nur mit sehr viele Mühe und langer Überzeugungsarbeit gelang es eine zweite Frau ins Büro zu holen.
Ziemlich gleichzeitig hatte ich angefangen Bogen zu schießen. Hier ist das Geschlechterverhältnis umgekehrt, 75-80 % Männer. Nach einer Bemerkung unseres ältesten Schützen beschloss ich für einen Posten im Dachverband zu kandidieren. Seitdem habe ich meine Meinung zur Gleichberechtigung in Frankreich vollständig geändert.
Ich wurde zur Vizepräsidentin gewählt. Zuerst einmal musste ich auf recht agressive Weise die drei Männer im Büro dazu bringen, mich zur Kenntnis zu nehmen. Dabei war das Internet ein sehr hilfreiches Instrument. Dann trat der Verbandsvorsitzende ohne Vorwarnung zurück. Ich habe den Verdacht, dass er beweisen wollte, dass ohne ihn nichts läuft. So hatte ich mehrere Monate freie Hand und der Verband lief gut. Was die Schützen nicht daran hinderte bei den nächsten Wahlen wieder den gerade zurückgetretenen Mann zu wählen. Sein Vorteil: er ist ein Mann! (Er ist gerade mal wieder von heut auf morgen zurückgetreten, doch diesmal ist ein Mann Vizepräsident, zu sagen, dass es nicht gut läuft, ist fast ein Euphemismus.)
Von Frauen (jünger als ich!) aus dem Süden der Dordogne hörte ich, dass es einer Frau nicht zusteht für Posten in der Verbandsleitung zu kandidieren! Einige Männer schlugen meinem Mann vor zu kandidieren, in der Hoffnung ich würde die Arbeit machen und er hätte, als Mann, die Ehre. Da mein Mann mich kennt, hat er es vorgezogen nicht auf den Handel einzugehen.
Man hat mich schon als „Segolène“ ‘beschimpft’. Damals war Seglène Royal Präsidentschaftskandidatin. Sie wurde nicht gewählt, weil eine recht grosse Anzahl von Personen es vorzogen für Sarkozy zu wählen, weil eine Frau für den Posten des Präsidenten ungeeignet ist (nicht erfunden, mehrfach gehört)! Inzwischen ziehen die gleichen Leute es vor, mich als Marine zu bezeichnen, obwohl sie gleichzeitig überzeugt sind, ich stehe eher links. Wie sie zu dem Schluss gekommen sind, weiss ich nicht, im Sport reden wir eigentlich nur über Sport. Seit ich und ein, zwei andere Frauen regelmässig zu Wettkämpfen gehen, ist der Frauenanteil dort gestiegen. Allerdings begrüsste mich letztes Jahr ein Schützin mit den Worten „Na, da bin ich ja doch nicht die einzige Frau heute!“ Mir war das da noch gar nicht aufgefallen.
Frauen in der französischen Politik
Im europäischen Parlament hat Frankreich einen Frauenanteil von 44 % (Deutschland 36 %), allerdings scheint ein Posten beim Europaparament in Frankreich wenig Prestige mit sich zu bringen. Dass der Frauenanteil im Europaparlament wenig aussagt, zeigt sich, wenn man die Frauenanteile in den nationalen Parlamenten ansieht. Zahlen 2009: Deutschland 32,2% Platz 8, Frankreich 18,5 % Platz 18, Malta 8,7 % letzter Platz (im Europaparlament 67% erster Platz). Nach den Wahlen 2012 hat sich die Situation in Frankreich verbessert, der Frauenanteil liegt jetzt bei 26,8 % mit grossen Unterschieden zwischen den Parteien (Artikel auf Französisch)
Die erste Abgeordnete, die die Dordogne jemals hatte, war Colette Langlade, die 2008 nach dem Tod des gewählten männlichen Abgeordneten nachrückte. Sie nutzte die Zeit, um bei möglichst vielen Eröffnungen, Veranstaltungen usw. gesehen zu werden - einige Männer fanden, sie übertriebe es. So wurde sie 2012 wiedergewählt und gleichzeitig kam eine zweite Frau aus der Dordogne ins Parlament, Brigitte Allain, so leicht geht es 50% Frauenanteil zu erreichen (lol).
Bei den jetzt anstehenden Departementswahlen hat die Regierung die Taktik geändert. Es wurden je zwei Kantone zusammengelegt und man wählt für zwei Kandidaten eine Frau und einen Mann. Im Norden der Dordogne haben die zwei grossen Parteien einen Mann auf den ersten Platz gesetzt (wobei die Sozialisten „vergessen“ haben ihre Parteizugehörigkeit anzugeben, die beiden kleinen Gruppierungen (links und rechts) haben eine Frau oben auf die Liste gesetzt.
Dann gibt es da noch die Anekdote von Vorgeschichtsforschern, deren Vorgesetzte eine Frau ist - wirklich ein Horror, eigentlich sollte die Dame sich allerhöchstens ums Kaffeekochen kümmern! Diese gleichen Herren fahren nur ungern mit dem Auto nach Bordeaux, eine viel zu grosse Stadt, mit viel zu viel Verkehr. Sollte sie als doch kalt lassen, sie riskieren sonst als Frau am Steuer, oder nicht viel besser in ihrer Position als Bauer beschimpft zu werden :-).

Veröffentlicht in Frankreich, Gleichberechtigung, Frauen

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